Nicht cool genug

Werder spielt den HSV eine Halbzeit lang an die Wand, versäumt es beim 1:1 aber, mehr Tore zu schießen

HAMBURG taz ■ Es ist nicht überliefert, welche Filme HSV-Trainer Klaus Toppmöller seinen Profis vor dem Spiel gegen Werder Bremen in den Videokonferenzen gezeigt hat. Aber es muss etwas Gruseliges gewesen sein, zumindest wenn man sich die verängstigte Vorstellung des HSV in der ersten Hälfte zu erklären versucht. Auf jeden Fall liegt es nahe, sich vorzustellen, dass Toppmöller seinen Spielern die Furcht per Fernbedienung in die Knochen getrieben hat. Werders 13 Tore aus den vergangenen drei Auswärtsspielen könnten den Missbrauch der Wiederholungstaste des DVD-Players ebenso erklären, wie die vor Tor- und Bilderflut erstarrten HSV-Kicker.

Nach nur 26 Sekunden Spielzeit erschrak sich das sehr defensiv eingestellte Heimteam erstmals. Bremens Ailton traf aus sechs Meter Entfernung nur HSV-Keeper Stefan Wächter und sorgte so für ein erstes Aufrichten der Nackenhaare bei den Zuschauern im mit 55.000 Zuschauern erstmals ausverkauften Nordderby im Hamburger Volkspark.

„Wir wollten zunächst kompakt stehen“, erklärt Toppmöller die ergriffene Verschanzungsmaßnahme mit sieben defensiven Spielern. Folglich stieß Werder tief in die angebotenen Räume, konnte beliebig nach vorne agieren und kam gegen das um den Strafraum ängstlich zusammengekauerte HSV-Team zu zahlreichen Chancen. Der Ex-HSVler Fabian Ernst nutzte einen Vorstoß von Ailton, den Wächter nur per Fußabwehr klären konnte, aus 25 Metern zur Werder-Führung (25.) – und alles sah erneut nach einem Erfolg der im Dauerfeuermodus agierenden Bremern aus.

„Wir hätten das Spiel in der ersten Halbzeit entscheiden müssen“, bemängelte Werder-Coach Thomas Schaaf deshalb fehlende Coolness vor dem Tor und hatte direkt eine Lösung des Problems parat: „Vielleicht sollten wir nur noch gegen Exvereine von Fabian spielen. Erst trifft er gegen Hannover und nun gegen den HSV.“ Das Problem dabei: Mehr Exvereine hat Ernst gar nicht. Und so wird Schaaf sich an seine Worte vor der Partie beim HSV halten müssen, um aus seinem Team jenes kühle Torkommando zu kreieren, als das es vielerorts über die Mattscheiben flimmert. Schaaf sagt: „Wir haben immer mit Leidenschaft gespielt und in dieser Saison noch nie die coole Nummer abgezogen.“ So war es auch diesmal.

Genau das schien auch HSV-Coach Toppmöller seinen Spielern in der Halbzeitpause erzählt zu haben. Nach den stark herausgespielten, aber erfolglosen Attacken Werders, fragte der HSV-Coach die Seinen: „Vor wem habt ihr eigentlich Angst ?“ Und er wechselte zur zweiten Hälfte mit Christian Rahn, der das zuvor vernachlässigte Mittelfeld stärkte, Tapferkeit ein. Innerhalb von wenigen Minuten nach dem Anpfiff spielte sich der inzwischen mutigere HSV zwei Chancen heraus. Die taktische Verschiebung innerhalb des Teams brachte auch eine des Spielgeschehens mit sich. Bremen ließ sich nun zurückdrängen und überließ dem HSV viel Platz.

Spielerisch blieben die Versuche des HSV einfältig. Für die Raute im Vereinswappen findet sich noch kein passendes Pendant auf dem Spielfeld, weswegen in erster Linie Standardsituationen die Umklammerung lösen konnten – und aus einem Horrorstreifen für den HSV eine hollywoodgleiche Heldengeschichte geschrieben wurde. Noch während seines Bankaufenthaltes in der ersten Halbzeit hatte sich Rahn gefragt, weswegen sein Team „nicht mal aufs Tor“ schießt. Prompt nahm er sich in der 50. Minute den Ball und schoss, natürlich mit links, einen Freistoß aus schwierigem Winkel flach an der Mauer vorbei direkt ins Tor von Werder-Keeper Andreas Reinke (50.). Naturgemäß wollte der nach dem Spiel nicht sagen, ob nun er oder die Mauer (und damit wiederum indirekt er selbst) falsch gestanden hatten. Sein Trainer brachte es dennoch auf den Punkt: „Rahn hat eine schöne Schusstechnik, aber das Tor darf nicht fallen.“

So wenig Schaaf mit der Performance seiner Truppe als filmreifes, Angst einflößendes Trefferkommando zufrieden sein konnte, um so mehr unterdrückte er seinen Ärger darüber, mit dem Unentschieden die Tabellenführung verpasst zu haben. „Man muss auch mal mit einem Punkt zufrieden sein“, so Schaaf.

OKE GÖTTLICH